„Coming of Age“ – das klang für mich immer nach The Catcher in the Rye, nach Filmen wie Stand by Me oder Der Club der toten Dichter. Geschichten, in denen Heranwachsende ihr eigenes Freiheitsversprechen suchen: gegen Eltern, gegen Schule, gegen Konventionen.
Doch was, wenn dieses Narrativ nicht mit dem Erwachsenwerden endet? Was, wenn auch Menschen meines Alters und Sozialisation – ich gehöre zur Generation X – noch einmal in einer Reifungsphase stehen?
Ich wurde tief im Westen zwischen Ölkrise und Mauerfall groß. Wohlstand und Unsicherheit prägten uns gleichermaßen: Scheidungskinder, Null-Bock-Haltung, der erste Golf als Symbol. Und das Golf-Cabrio als Statussymbol. Möglichst immer offen fahren.
Wir wollten raus, individualistisch, skeptisch, irgendwie frei. Aber diese Freiheit hatte noch ein anderes Gesicht: das Versprechen, dass Demokratie, Wohlstand und Frieden selbstverständlich sind.
Heute weiß ich, dass das eine Illusion war. Auch wir, die Generation X, stehen erneut in einem Reifungsprozess – genährt von Erfahrungen, Rückschlägen, Momenten des Glücks und eben jener Freiheit, die uns so selbstverständlich schien.
Carsten Brosda, der Hamburger Kultursenator, zeigt in den Frankfurter Heften, wie sich das Narrativ der Freiheit verschoben hat. So habe ich zumindest sein lesenswertes Essay verstanden.
Die Freiheit, die wir für selbstverständlich hielten, ist längst in diese Narrativ-Verschiebung geraten. Rechte besetzen sie als Abwehrbegriff – gegen „die da oben“, gegen Vielfalt, gegen jede Form von Zumutung. Rechte beanspruchen die Freiheit als Kampfbegriff: gegen „Gender-Ideologie“, gegen Impfungen, gegen Europa. Linke wiederum haben Freiheit auf die Abwehr vermeintlich neoliberaler Deregulierung reduziert – und dabei übersehen, dass Freiheit mehr ist als Schutz vor Marktlogik. Freiheit ist auch Selbstermächtigung, Teilhabe, ein gemeinsames „Wir“.
Diese Verschiebung spiegelt sich längst in der politischen Gegenwart. Wenn Parlamente über Asylverschärfungen debattieren, wenn Klimapolitik in nationalem Klein-Klein versandet, wenn Bürgergeld zum Symbol von Misstrauen gegenüber den Schwächsten wird – dann geht es immer auch um die Erzählung von Freiheit. Wird sie als Abwehr erzählt – „wir gegen die anderen“ –, oder als Einladung, Verantwortung zu teilen?
Für mich ist klar: Die Freiheit, die ich als Jugendlicher in Filmen, Büchern und politischen Umbrüchen gesucht habe, ist heute nicht mehr romantisch, sondern existenziell. Und bedroht. Sie droht, von Populisten zur Waffe gemacht und von Progressiven aus ideologischer Engstirnigkeit verkleinert zu werden.
Vielleicht ist genau das mein persönliches und unser spätes Coming of Age als Generation X: Freiheit neu zu erzählen – nicht nostalgisch und nicht zynisch, sondern als Kultur der Demokratie, die mehr ist als eine Verfassungsvokabel. Eine Freiheit, die auch den Mut einschließt, Entscheidungen zu treffen, die wehtun: für Klimaschutz, für offene Gesellschaften, für Europa.
Danke Carsten Brosda für den Impuls. Ich habe daraus als nächste Coming-to-Age-Bewusstseinsstufe gelernt: Freiheit bleibt nur, wenn wir sie nicht nur verteidigen, sondern lebendig erzählen. Das ist die Reifungsaufgabe, die uns – wider Willen – noch einmal jung macht.
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