Wäre ich nicht mit dem Schreiben von Kolumnen und anderen kommunikativen Aktivitäten in der digitalen Welt beschäftigt, würde ich mich sofort auf eine analoge Suche begeben. Nämlich nach dem Kandidaten für den „Goldene Spike“ – also dem zukünftigen Referenzort für den Beginn des Anthropozäns.
Hören Sie jetzt bitte nicht auf weiterzulesen, irritiert oder verwirrt. Denn eigentlich ist es ganz einfach und so etwas wie der Hollywood-Klassiker „Jäger des verlorenen Schatzes“: die so genannte Anthropocene Working Group, ein Zusammenschluss internationaler Wissenschaftler, sucht einen Ort, an dem der Übergang vom Holozän (seit der letzten Eiszeit) zum aktuellen, vom Menschen geprägten Erdzeitalter, dem Anthropozän, lückenlos in den Schichten der Erde ablesbar ist.
Immer mehr Kandidaten für diesen „Golden Spike“ scheitern. Kürzlich wurde der Wiener Karlsplatz von der Liste der Kandidaten gestrichen. Zuvor waren bereits die San Francisco Bay und eine Tropfsteinhöhle in Norditalien aus dem Rennen.
Bei der Suche geht es um nichts Geringeres als unseren „Impact“ auf diesen Planeten – Artefakte, aber auch Spuren, die nur der Homo Sapiens hinterlassen kann, wie etwa noch nachweisbare radioaktive Isotope von den Atombombentests in den 1950er und 60er Jahren.
Aber warum in der Welt herumirren und sich an abgelegenen Orten herumschlagen? Schlummert nicht in jedem von uns, in unserem Denken und Handeln so etwas wie der „Golden Spike“?
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber so wie die Grenze eines geologischen Profils z. B. durch das erste Auftauchen eines bestimmten Fossils definiert wird, hat die Digitalisierung meine Art zu denken, zu handeln und meinen „Impact“ grundlegend verändert. Ich kann deutlich spüren, wie ich mich vom Holozän immer mehr in Richtung Anthropozän bewege. Und kurz davor bin, die Sedimentschicht zu durchstoßen. Zumindest bin ich fest davon überzeugt, dass ich das tue.
Höchstwahrscheinlich sehen das nicht alle so. Offenbar wollen sie sich nicht auf die erdgeschichtliche Dimension der mentalen Umstellung einlassen. Wer aber unsicher ist, kann anhand der folgenden fünf Kriterien analysieren, ob er oder sie noch Holozän:in oder Anthropozän:in ist:
1. Ich bin authentisch und stehe zu meinem Wort – Holozän
2. Ich setze an mich einen höheren Maßstab an als an andere – Anthropozän
3. Ich mag # – Holozän
4. Ich gender – Anthropozän:in
5. Ich besitze einen Kanken Fjällräven Rucksack – voll Holozän
Wer bei der letzten Frage mit „Ja“ geantwortet hat, muss nicht gleich auf den Jakobsweg losstratzen, um sich weiterzuentwickeln. Der Pilgerweg ist jetzt ohnehin voll von holozänen Partygängern. Für die Suche nach dem „Golden Pike“ braucht die Anthropocene Working Group noch Mitreisende. Also raus aus dem holozänen homeoffice. Es soll dem Vernehmen nach an entlegenere Orte gehen, um dem idealen Nachweis für das Anthropozän zu finden. Die Disruption findet sich am Grund von Meeren oder Seen, an Korallenriffen, auf Gletschern oder im Moor. Da kann ein Fjällräven-Rucksack sehr nützlich sein.
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