Deutschland ist raus. Raus aus dem Weltfußballturnier. Fast eine Randnotiz angesichts der guten Nachrichten. Denn jetzt wird alles wieder besser. Das war’s mit der Inflation – zumindest schreibt das Tim Bartz im SPIEGEL. Ökonomen seien vorsichtig optimistisch, was die Inflation angeht, schreibt der Leiter des Finanzressorts des Nachrichtenmagazins – und privat HSV-Fan. Das ist gut so. Er muss in dieser Konstellation ein Optimist sein.
In gewisser Weise gibt es tatsächlich Grund zur Zuversicht. Und ein bisschen Hoffnung und Optimismus tut gut. Vor allem, wenn man, wie ich, gerade einen Brief von seinem Stromanbieter bekommen hat – und denkt: OK, man muss sich morgens nicht die Haare föhnen, wenn man sie kürzer trägt. Und die obligatorischen Lichterketten in der Advents- und Weihnachtszeit sind nur etwas für spießige und gut gelaunte Wir-machen-es-einfach-gemütlich-Typen.
Ich bin einfach in einer anderen Stimmung. Weniger schicksalsergeben. Denn die aktuellen Schlagzeilen erinnern mich an eines meiner Lieblingsstücke im Theater: Warten auf Godot von Samuel Beckett. Die beiden zaudernden Protagonisten Estragon und Wladimir quälen sich, hoffen und hoffen. Wir, das Publikum, können uns ihnen überlegen fühlen, weil wir das Ende kennen. Aber wissen wir es wirklich?
Gewiss: Godot wird bis in alle Ewigkeit nicht erscheinen. Was ein Paradebeispiel für absurdes Theater ist, das Germanist:innen in Ekstase versetzt, ist im Grunde eine Kritik an der moralischen Weigerung des Menschen, etwas zu tun, wenn er meint, ohnehin nichts tun zu können.
Rückblende: Vor knapp einem Jahr wurde der 25. Global CEO Survey der Unternehmensberatung PwC veröffentlicht. Im Januar 2022, also vor Krieg, Inflation, Zinswende, Klimastress und Fußball-WM, rechneten noch mehr als drei Viertel der deutschen CEOs mit einem Anstieg des globalen Wirtschaftswachstums. Ihre größten Sorgen waren damals Cyber-Risiken, der Klimawandel und geopolitische Konflikte. Der Rekordoptimismus übertraf den Pessimismus, der nun wie die nasse Herbstkälte in unsere Glieder gekrochen ist.
Wir müssen ihn mit einem wärmenden Hoffnungsschimmer auf Besserung und viel Optimismus vertreiben. Jetzt. Unverzüglich. In einem Germanistikseminar habe ich einmal gelernt, dass alle Figuren in „Warten auf Godot“ das menschliche Bedürfnis verkörpern, trotz vager und letztlich unerfüllter Illusionen auf die Ankunft eines Propheten oder eines anderen Erlösers zu hoffen, der das Heil bringen wird. Der Erlöser existiert jedoch nicht. Vielmehr liegt es jetzt an uns, den Entscheidungsträgern, den Influencern, den Verantwortlichen auf der C-Ebene, nicht wie Estragon und Wladimir zu handeln – mit anderen Worten, nichts zu tun.
Es liegt jetzt an den Unternehmensführern, Optimismus zu verbreiten. So wie es der Onvista Börsenfuchs derzeit tut, indem der Finanznewsletter die „frischen Infos“ des Münchner Ifo-Instituts zitiert: Die Materialknappheit in der Industrie sei gesunken – auf den niedrigsten Wert seit April 2021. Selbst nackte Zahlen können nun Hoffnung machen.
Beckett hat sich übrigens immer geweigert, sein Stück zu interpretieren. So hat er auch Spekulationen darüber, wofür Godot steht, zurückgewiesen – mit den Worten: „Wenn ich wüsste, wer Godot ist, hätte ich es im Stück gesagt.“
Wenn wir uns alle mehr wie Godot, die Hoffnung, den Optimismus in eine machbare, zum Guten veränderbare Zukunft verstehen würden, das wäre doch ein Anfang. Dann klappt es beim nächsten Mal bestimmt mit der WM und dem Wiederaufstieg des HSV. Und ich kann meinen Föhn weiterlaufen lassen und muss meine Haare nicht kurz tragen.
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