In meiner Schaffenszeit bei der Financial Times Deutschland (FTD), die damals teils von Gruner+ Jahr – jetzt RTL – , nun ja, gemanagt wurde, legte man neben einer schönen Schreibe immer auch großen Wert auf den Nutzwert und die Anwendbarkeit. Kurz: wohlformulierten Pragmatismus.
Und weil diese Werte heute wieder hoch im Kurs stehen, jetzt erst einmal ein Zitat des englischen Klassikers Shakespeare, der in seiner romantischen Komödie „Wie es euch gefällt“ pragmatisch wohlfeil formuliert: „Der Narr hält sich für klug, aber der Kluge weiß, dass er ein Narr ist.“
Was uns Shakespeare damit sagen will: Wenn Sie sich über Ihren eigenen Intellekt nicht allzu sicher sind, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass Sie ziemlich intelligent sind – zumindest aufmerksam genug, um Ihre Grenzen zu erkennen. Dieser Gedanke wird durch eine Studie der Cornell University untermauert, die von den Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger durchgeführt wurde.
Der so genannte Dunning-Kruger-Effekt ist ein Phänomen, bei dem Menschen mit geringen Fähigkeiten in bestimmten Bereichen dazu neigen, ihre eigene Kompetenz zu überschätzen, während Menschen mit höheren Fähigkeiten davon ausgehen, dass die Aufgabe für alle einfach ist. Der Effekt ist ein Beispiel für eine kognitive Voreingenommenheit, die beeinflusst, wie wir unser eigenes Wissen und unsere Fähigkeiten einschätzen.
Das englische Forschungsinstitut HFS hat jüngst die Erkenntnisse von Dunning-Kruger beim Umgang der Menschen mit der Künstlichen Intelligenz von ChatGPT angewendet. Ein Chatbot, der auf maschinellem Lernen beruht. Auf der Skala von „No Knowledge“ (believe the hype) bis „Enough Knowledge“ (understand the reality) haben die Wissenschaftler fünf Phasen im Umgang, Nutzung und Praktikabilität von ChatGPT abgetragen.
Phase1: „Wow!“ ChatGPT kann alle meine Fragen beantworten. Gefolgt von Phase 2 „Warte mal…“ ChatGPT wird von einem so genannten Large Language Model angetrieben, das letztlich nur ein statistisches Werkzeug ist, um Sprache vorherzusagen, ohne sie zu verstehen, und statistisch plausible Antworten zu produzieren.
Phase 3 bringt die Einsicht: „Mist!“ ChatGPT spuckt manchmal nicht korrekte Antworten aus, indem die KI ungewollt auf falsche Informations-Bausteine zugreift. Aber immerhin führt die Dunning-Kruger-Analyse zu einer Art Einsicht in Phase 4: „Habe verstanden“ ChatGPT ist dann gut, wenn es keine wirklich richtige Antwort gibt.
Phase 5 der Einsicht des eigenen Wissens in das Nichtwissen der Künstlichen Intelligenz ist so etwas wie eine Katharsis: „Alles klar!“ ChatGPT kann die Produktivität beim Erstellen von Content erheblich erhöhen, aber es gilt, die Grenzen der Künstlichen Intelligenz zu erkennen.
Aufmerksam genug, seine eigenen Grenzen zu erkennen, ist dieser Tage auch Thomas Rabe, wie er in einem aktuellen Interview mit dem SPIEGEL durchblicken lässt. Der Bertelsmann-Chef will alle ehemaligen Gruner+Jahr-Objekte, die noch in der Verlagsgruppe bleiben, durch den Content-Erzeuger ChatGPT ersetzen – schöne Schreibe pragmatisch im Einsatz.
Will er natürlich nicht. Der Mann hat „wie es Euch gefällt“ gelesen und weiß um das Dunning-Kruger-Paradoxon. Rabe kennt die kognitiven Verzerrungen, oder Biases, die beeinflussen, wem wir zuhören und Glauben schenken, welche Informationen wir abspeichern und wie wir unser eigenes Wissen einschätzen.
Apropos Zuhören: Auch dass er in seiner Jugend E-Bass in einer belgischen Punkrockband spielte, spricht durchaus dafür, dass es dem Bertelsmann- und RTL-Chef liegt, sich Gehör zu verschaffen. Der E-Bass ist dafür gewiss das beste Instrument. Wer ihn virtuos beherrscht, nutzt meist die Synkope als musikalisches Mittel der Akzentuierung einen Takt aufzubrechen, indem unbetonte Schläge hervorgehoben und rhythmische Spannung erzeugt wird. Mein Nutzwert-Tipp: versuchen Sie es in Ihrem Job mal mit Akzentuierung und Spannung erzeugen – Sie werden reüssieren.
Oder vielleicht doch nicht? Wenn man ChatGPT nach der Verbindung zwischen Thomas Rabe, Synkopen und dem E-Bass fragt, antwortet die Künstliche Intelligenz folgendermaßen: „Thomas Rabe hat, wie Sie erwähnten, früher in einer Punkband E-Bass gespielt, was seine Verbindung zu diesem Musikinstrument unterstreicht. Was die Synkopen betrifft, so konnte ich zwar keine spezifischen Informationen finden, die Thomas Rabe mit dieser Krankheit in Verbindung bringen, aber es ist wichtig zu wissen, dass Synkopen bei Personen aller Berufsgruppen, einschließlich Führungskräften, auftreten können.“
Synkopen gibt es also nicht nur in der Musik, sondern auch in der Medizin – umgangssprachlich werden sie Ohnmacht genannt.
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