In der Kunstgeschichte gibt es den Topos von Arkadien. Ich hätte auch Ort schreiben können. Topos klingt aber bildungsbürgerlicher. An diesem Ort der klassischen Idylle jedenfalls tümmeln sich stramme Schäferjungs und liebreizende Mägde und allerlei Getier. Neben Schafen auch Vögel.
Aktuell zwitschert und brummt es zumindest in der Hauptstadt, dem neuen Arkadien. Denn der Frühling in Berlin hat nicht nur die Vögel, sondern auch die Kunstliebhaber aus ihren Nestern gelockt. Sie machen sich auf den Weg zum 19. Gallery Weekend Berlin und lassen das Herz der Kunstszene höher schlagen. Und schneller als man „BER“ sagen kann, tummeln sich Sammler, Künstler und VIPs in den Gassen und Boulevards Berlins, um die angesagtesten Galerien zu besuchen.
Ich werde meine Sneaker anziehen und auch dabei sein. Denn Maike Cruse, die Weekend-Chefin, hat eine Art „Kunst-Olympiade“ organisiert, bei der hochkarätige Sammler, die drei Jahre lang im Winterschlaf waren, alle 55 offiziell beteiligten Galerien abklappern. Kein Wunder, dass die Berliner Orgabüro-Helden in den vergangenen Wochen fleißig wie Ameisen die Touren für diese Promis ausgetüftelt haben.
Doch dieses Jahr steht nicht nur der Kunst-Adel im Rampenlicht. Die Berliner Galerien haben sich von der Pandemie erholt, neue Energie getankt und präsentieren ein beeindruckendes Programm, das sowohl etablierte Koryphäen als auch aufstrebende Künstlerinnen und Künstler in den Fokus rückt.
Da wäre zum Beispiel die fabelhafte Sheila Hicks, die mit Wolle und Stoff zaubert, oder Hito Steyerl, die interaktive Glaskugeln zum Leben erweckt. Doch auch frische Gesichter, wie Rhea Dillon, die sich bei Sweetwater mit dem Thema Blackness beschäftigt, sind Teil des kunterbunten Programms.
Das diesjährige Gallery Weekend schreibt das Motto „Generationen verbinden“ groß: Die Galerie Werner, ein Urgestein der Berliner Kunstszene, ist ebenso dabei wie die Galerie Nothelfer, die seit 1971 existiert und nun unter neuer Leitung mit dem Informel-Maler K.R.H. Sonderborg neue Impulse setzt.
Dieses Gallery Weekend ist also eine wahre Wundertüte voller Kunst und Eleganz, bei der man am Ende des Tages mit einem Glas Champagner auf die Werke und die Menschen anstoßen möchte, die die Berliner Kunstszene so einzigartig machen: Boomer, Beaus und Bildungsbürger.
Für mich ist das die schönste Form des eskapistischen Entertainments. Diesen Begriff hat übrigens der kürzlich verstorbene amerikanische Talkshow-Moderator Jerry Springer geprägt. Er hinterlässt ein kontroverses Vermächtnis in der Welt der Unterhaltung. Mit fast 5.000 Episoden, die sich über 27 Jahre erstrecken, hat die „Jerry Springer Show“ einen tiefgreifenden Einfluss auf das Fernsehen und die Gesellschaft insgesamt gehabt.
Springer wurde in den USA in den 1990er Jahren durch seine tägliche Fernsehsendung berühmt, die für ihre Pöbeleien bekannt ist. Obwohl er in Interviews immer wieder betonte, dass ihm vieles in der Sendung peinlich sei, hatte die Show ein großes Publikum und war zeitweise sogar erfolgreicher als die Talksendungen von Oprah Winfrey.
Ob man nun in Arkadien oder in der eskapistischen Unterhaltung des Gallery Weekend abtaucht. Beides kann durchaus als Katalysator für kreatives Denken fungieren. Führungskräfte können sie als Mittel zur Stimulierung ihrer kreativen Denkprozesse nutzen. Der Kontakt mit verschiedenen künstlerischen Stilen, fantasievollen Welten und Erzählungen kann Führungskräften helfen, neue Perspektiven und Ideen zu entwickeln, die zu innovativeren und effektiveren Lösungen bei ihrer Arbeit führen.
In Zeiten fundamentaler Veränderungen scheinen Künstler oft eine besondere Sensibilität für die Zerbrechlichkeit der Gegenwart und die Unsicherheit der Zukunft zu entwickeln. Dies führt sie dazu, sich in die Welt der Fantasie zurückzuziehen und das Arkadien – das Land der Liebe, Schönheit und zugleich des Todes – als Inspirationsquelle zu nutzen.
Dabei offenbart sich eine ambivalente Zeitgenossenschaft, die zwischen der Wertschätzung eines scheinbar komfortablen Lebens und der Furcht vor dessen Verlust changiert. Die wiederkehrenden Momente der Unberechenbarkeit in der Geschichte verdeutlichen, dass solche Gefühle der Unsicherheit und Veränderung keineswegs einzigartig sind, sondern vielmehr ein fester Bestandteil menschlicher Erfahrung und künstlerischer Reflexion.
Die Galerie EIGEN + ART, ein bedeutender Kunstraum in Berlin, feierte kürzlich ihr 40-jähriges Bestehen. Anlässlich dieses Jubiläums hat die Galerie eine außergewöhnliche Ausstellung für das Gallery Weekend kuratiert. Die Schau zeigt neue Werke des geschätzten deutschen Konzeptkünstlers Olaf Nicolai. Seine fesselnde Fotografien, die er in Olympia, Griechenland, aufgenommen hat, bieten eine neue Perspektive auf die Landschaft dieses historischen Ortes – quasi um die Ecke von Arkadien.
Indem Nicolai seine Kamera auf den Parabolspiegel richtet – ein Gerät, das traditionell zur Beleuchtung des olympischen Feuers verwendet wird – fängt Nicolai die Landschaft durch die verzerrte Reflexion des Spiegels ein. Der Parabolspiegel bündelt die Sonnenstrahlen auf einen einzigen Punkt und unterstreicht damit die Idee des gemeinsamen Fokus. Durch diesen einzigartigen Ansatz laden Nicolais Werke den Betrachter dazu ein, zu hinterfragen, wie geteilte Aufmerksamkeit, sowohl im wörtlichen als auch im metaphorischen Sinne, die Bedeutung eines Themas verändern kann. Ein schöner Topos.
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