Welch ein Kapitalismus

Es ist ein Privileg, das Leben durch die Brille bemerkenswerter Persönlichkeiten zu sehen. Eine solche Persönlichkeit, die ich im Laufe meines Lebens kennengelernt und bewundert habe, ist Jack Welch. Dieser charismatische und für mich jederzeit zugängliche Mann war ein Gigant der Industrie, der das Antlitz von General Electric (GE) und damit auch das des amerikanischen Kapitalismus prägte.

Kürzlich hat David Gelles, ein Journalist der „New York Times“, ein provokatives Buch über Welch und seine Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft veröffentlicht. Gelles‘ Analyse ist scharfsinnig und seine Kritik an Welch und dem von ihm geförderten „Welchismus“ ist unmissverständlich. Trotz der düsteren Schatten, die Gelles auf Welchs Vermächtnis wirft, möchte ich eine alternative Perspektive auf die Geschichte von Welch und GE bieten.

Die Psychologie präsentiert uns das Konzept des „Double Bind“, ein Phänomen, bei dem zwei widersprüchliche Signale in der Kommunikation auftreten. Welch und GE könnten als solches „Double Bind“ betrachtet werden. Auf der einen Seite haben wir Welch, der GE zu einem der wertvollsten Unternehmen der Welt machte, und auf der anderen Seite den tiefen Fall von GE nach seiner Amtszeit.

Gelles argumentiert, dass der „Welchismus“ – gekennzeichnet durch rigorosen Personalabbau, den Kauf und Verkauf von Unternehmen und riskante Finanzgeschäfte – die amerikanische Industrie infiziert und erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden angerichtet hat. Er behauptet ferner, dass Welch den Stakeholder-Kapitalismus, der Amerikas Industrie stark machte, abgewickelt und durch einen einseitigen Shareholder-Kapitalismus ersetzt hat, der von kurzfristigem Profitstreben und Effizienzsteigerung geprägt war.

Aber hier liegt die Schönheit des Kapitalismus: seine Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Welch mag einen bestimmten Stil des Kapitalismus propagiert haben, der sich letztlich als schädlich erwiesen hat, aber das bedeutet nicht, dass der Kapitalismus selbst fehlerhaft ist. Im Gegenteil, der Kapitalismus bietet uns die Werkzeuge, um solche Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Tatsächlich fordert Gelles selbst eine Rückkehr zu den alten Tugenden der amerikanischen Industrie und eine Abkehr von den schädlichen Praktiken, die Welch eingeführt hat. Er plädiert für ein nachhaltigeres und gerechteres Wirtschaftsmodell. Und genau das ist es, was der Kapitalismus ermöglicht: die Fähigkeit, sich zu verändern und anzupassen, um besser auf die Bedürfnisse der Gesellschaft zu reagieren.

Die Geschichte von Jack Welch und GE ist eine Lektion, aus der wir lernen können. Sie zeigt uns, dass der Kapitalismus nicht perfekt ist und dass es immer Raum für Verbesserungen gibt. Aber sie zeigt uns auch, dass der Kapitalismus die Fähigkeit hat, sich selbst zu korrigieren und zu verbessern. Und das ist es, was den Kapitalismus so mächtig und widerstandsfähig macht.

In diesem Sinne ist Gelles‘ Buch nicht nur eine Kritik an Welch und seinem Vermächtnis, sondern auch ein Aufruf zur Aktion. Es ist ein Appell, den Kapitalismus zu verbessern und zu reformieren, um ihn besser auf die Bedürfnisse der Gesellschaft abzustimmen. Und das ist eine Herausforderung, die wir alle annehmen sollten.

David Gelles‘ „The Man Who Broke Capitalism: How Jack Welch Gutted the Heartland and Crushed the Soul of Corporate America and How to Undo His Legacy“ ist eine wichtige Lektüre für alle, die sich für die Geschichte des Kapitalismus und seine Zukunft interessieren. Es ist eine kritische Analyse, die zum Nachdenken anregt und uns daran erinnert, dass der Kapitalismus immer ein Werk in Arbeit ist – ein System, das ständig verbessert und reformiert werden muss, um den sich ständig ändernden Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden.


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