Achtung! Rückschaufehler

Søren Kierkegard wird gerne mit einem Bonmot zitiert, und das geht so: „Das Leben kann in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“ Auf einen Satz reduziert: Aus Erfahrung wird man klug.

Mit einer Rückschau dieser Art lässt sich das Leben vorwärts besser bewältigen. Ansonsten sollte man weder in der Vergangenheit hängen bleiben noch sich zu viele Sorgen um die Zukunft machen. Das Hier und Jetzt ist viel zu wichtig. Im Nachhinein gibt es nur Erinnerungen, keine Bewegungen mehr.

Bevor ich mich der Gegenwart zuwende, möchte ich kurz in die Retrospektive gehen:  Das Jahr 2022 begann für mich mit Narrativen und dem erfolgreichen Abschluss der inspirierenden Arbeit für Bernhard Fischer-Appelts Buch über den „Zukunftslärm“. Wer es noch nicht gelesen hat, sollte es sich als Anregung für Neues im Jahr 2023 besorgen.

Die Beschäftigung mit den im Buch analysierten „Zukünften“ hat mich in den vergangenen zwei Jahren verändert – parallel zur Utopie-raubenden Pandemie. Sie hat mich zum Beispiel gelehrt, dass es einen „Zukunftskegel“ gibt, der die verschiedenen Zukünfte veranschaulicht: In der Mitte der Zeitleiste liegt die wahrscheinliche Zukunft, weiter außen im Kegel folgen die plausible, die mögliche und die gewünschte Zukunft. Quasi ganz außen, und schon gar nicht mehr innerhalb des Zukunftskegels, liegt die Utopie.

Mein Tipp für die Schau vorwärts im Kierkegaardschen Sinn, also aus Erfahrungen klug zu werden: Es gilt den Rückschaufehler zu vermeiden! Dieser so genannte hindsight bias ist ein systematischer, allzu menschlicher Beurteilungsfehler, bei dem jemand im Nachhinein glaubt, etwas zu wissen, was er nachweislich nicht wusste. Es handelt sich dabei um eine verzerrte Wahrnehmung und Interpretation der Realität, die nicht beabsichtigt ist, sondern vielmehr eine Begleiterscheinung allgemeiner Prinzipien der menschlichen Informationsverarbeitung und sozialer Beeinflussungsprozesse darstellt.

Die Auseinandersetzung mit dem hindsight bias hat mir die Erkenntnis gebracht, dass die Schau nach rückwärts nicht das gleiche wie die Schau nach vorwärts ist. Die Schau nach rückwärts ist die Verarbeitung von Erfahrungen. Eine Schau nach vorwärts hat eine vollkommen andere Qualität, weil es nach vorwärts keine Erfahrungen gibt, außer, man weiß nach rückwärts, wie man nach vorwärts erfolgreich die gesammelten Erfahrungen anwendet.

In der Gegenwart durchdringen sich Vergangenheit und Zukunft. Und je mehr plausible, mögliche und erwünschte Zukünfte oder gar Utopien ins Spiel kommen, desto deutlicher verblasst die Verlässlichkeit der vergangenen Erfahrungen.

So wünsche ich allen Leser:innen dieser Kolumne, allen Freund:innen und Geschäftspartner:innen neben Glück und Gesundheit eine wunderbare Gegenwart, nicht zu viele Rückschaufehler und ein ganzes Feuerwerk an Zukünften für das neue Jahr.


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