Himmelsgucker mit Trockenfutter

Habe ich als Kind schon immer gerne gemacht. Und ist jetzt für mich bis heute als Mensch der Metropolis immer ein „Kick“: Der Blick zum Himmel. Er steht übrigens gerade im Mittelpunkt der interdisziplinären Ausstellung „Wolken. Von Gerhard Richter bis zur Cloud“ im Bad Homburger Museum Sinclair-Haus. Vierzehn Künstler:innen geben verschiedene Sichtweisen auf den Himmel frei: Wolken als Sinnbild für Bewegung, Weite, Freiheit, Leichtigkeit, Energie aber auch als Indikator für Wetter, Klima und Kosmos.

Die Ausstellung zeigt, dass der Himmel uns alle fasziniert, egal ob Künstler oder Manager. In einem Moment bewundern wir die beeindruckenden Werke von Gerhard Richter und träumen von den unendlichen Weiten des Himmels, im nächsten Moment landen wir auf der Erde und führen hitzige Diskussionen – etwa über die optimale Ernährung unserer Hauskaninchen. Dazu später mehr.

Als jemand, der job-, karriere- und lebenssituations-bedingt unter der Woche in berlin-brandenburgischen Hotels lebt, kann ich einige interessante Beobachtungen und Einsichten bieten. Obwohl ich heute eher in der Business-Casual-Kategorie der Hotellerie wohne, statt wie früher im Adlon residiere, erinnert mich das Leben hier an den Roman „Menschen im Hotel“. Vielleicht auch, weil ich zwischen dem Marlene-Dietrich-Platz und dem Berliner Boulevard der Filmstars arbeite.

Vicki Baum, die Autorin von „Menschen im Hotel“, behandelt in ihrem belletristischen Meisterwerk aus dem Jahr 1929 das Leben in Berlin, der Metropolis, während der goldenen 1920er Jahre und zeigt Menschen als Opfer der anonymen Massengesellschaft des 20. Jahrhunderts: Vereinsamung, psychische und physische Deformation, sowie der Verfall bürgerlicher Werte stehen im Mittelpunkt. Eine interessante Parallele zur heutigen Zeit, in der die Menschen in Hotels, genauso wie damals, ihre persönlichen Kämpfe und Lebensgeschichten mit sich herumtragen.

Und da sitze ich nun in einer Berliner Business-Casual-Hotelbar, umgeben von ausgelassenen Mitarbeiter:innen der Bundesagentur für Arbeit, die sich angeregt über die erfolgreiche Vermittlung von gender-diversen Menschen im ländlichen Raum unterhalten und darüber diskutieren, welches Futter ihre Hauskaninchen am besten vertragen. Spoileralarm: Trockenfutter bringt’s. Währenddessen beobachten sie mich, wie ich in meinem Laptop diese Kolumne reinhacke – und sich fragen, was in meiner Welt so spannend sein mag. Überhaupt ist jedes dritte Wort der Arbeitsagentur-Gruppe „spannend“ – spannend, oder?

Ich hätte mich gerne zu den Trockenfutter-Damen gesellt, um ihnen von meiner Wolken-Welt zu berichten. Und vom neuen Roman von Ulrich Gutmair zu erzählen: „Wir sind die Türken von morgen. Neue Welle, neues Deutschland“.  Auch so ein Berlin-Ding.  Aber: In Zeiten des Wandels und der kulturellen Verschiebungen ist es erfrischend, ein Buch zu finden, das die Vergangenheit auf humorvolle Weise mit der Zukunft verbindet – es ist eine amüsante und aufschlussreiche Reise durch die deutsche Kulturszene der 1980er Jahre und deren Auswirkungen auf das heutige Deutschland.

Das Buch untersucht die Neue Deutsche Welle (NDW), eine musikalische und kulturelle Bewegung, die in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Die NDW brachte eine Fülle von innovativen und provokanten Künstlern hervor, die das damalige Deutschland auf humorvolle und oft sarkastische Weise kommentierten. Durch ihren einzigartigen Stil und ihre provokanten Texte stellten sie die Grenzen von Musik, Kunst und Gesellschaft in Frage.

Ulrich Gutmair führt uns durch die verschiedenen Aspekte der NDW und zeigt uns, wie diese Bewegung weit über die Musik hinausging. Sie beeinflusste auch Mode, Film und Literatur und hinterließ einen bleibenden Eindruck auf das kulturelle Leben in Deutschland. Dabei gelingt es Gutmair, die oft ironischen und sarkastischen Elemente der NDW auf lustige Weise darzustellen, sodass der Leser ein tieferes Verständnis für die Bewegung und ihre Bedeutung entwickeln kann.

Eine der herausragenden Eigenschaften der NDW war ihre Fähigkeit, soziale und kulturelle Themen aufzugreifen und sie auf launige und oft absurd anmutende Weise zu präsentieren. So wurden beispielsweise Themen wie Migration, nationale Identität und das Zusammenleben verschiedener Kulturen auf ironische Weise behandelt – was dem Buch seinen provokanten Titel „Wir sind die Türken von morgen“ verleiht.

Die Quintessenz von Gutmairs Buch ist, dass die Vergangenheit uns oft wichtige Lektionen für die Zukunft lehrt und dass ein humorvoller Blick auf unsere Geschichte uns helfen kann, die Gegenwart besser zu verstehen. In einer Zeit, in der kulturelle Identitäten und Nationalitäten immer komplexer und vielfältiger werden, zeigt uns Gutmair, dass es wichtig ist, die humorvolle Seite der Veränderung zu erkennen und offen für neue Ideen und kulturelle Einflüsse zu sein.

Für uns Menschen im Business bedeutet dies, über den Tellerrand hinauszuschauen und die Vorteile der kulturellen Vielfalt zu erkennen. Hotels sind hierfür ein ausgezeichneter Ort, da sie zahlreiche Gelegenheiten bieten, unterschiedlichste Menschen und Berufe kennenzulernen. In der Tat gibt es viel zu lernen, wenn man aufmerksam die Welt der Hotels beobachtet. Hier sind einige Lektionen, die Sie und ich für unsere Karrieren daraus ziehen können:

  1. Die Wichtigkeit des Netzwerkens: Hotels sind ein Schmelztiegel der unterschiedlichsten Menschen und Berufe. Nutzen Sie die Gelegenheit, um mit Ihren Hotelnachbarn ins Gespräch zu kommen. Manchmal können die ungewöhnlichsten Begegnungen zu den besten Geschäftskontakten führen – oder zumindest zu einer amüsanten Anekdote. Also ich kenne mich mit Kaninchenfutter bestens aus.
  2. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: In Hotels müssen wir uns ständig auf neue Situationen einstellen. Ob es die unterschiedlichen Kissenhärten, die Unberechenbarkeit der Duschtemperaturen oder die Begegnung mit Hauskaninchen-Enthusiasten ist – als Manager müssen wir lernen, uns an Veränderungen anzupassen und das Beste daraus zu machen. Die Kissen im Adlon erinnere ich als himmlisch.
  3. Balance zwischen Arbeit und Freizeit: Selbst, wenn Sie das Gefühl haben, unersetzlich zu sein, sollten Sie sich ab und zu eine Pause gönnen. Nehmen Sie sich die Zeit, das lokale Flair zu genießen oder einfach nur die Füße hochzulegen. Wer weiß, vielleicht entdecken Sie dabei Ihre Leidenschaft für die Kaninchenhaltung oder andere unerwartete Hobbys. Da verweise ich an den Lebenskünstler Frank Behrendt und sein Buch „Liebe Dein Leben und nicht Deinen Job“.
  4. Die Bedeutung des Humors: In einer Welt, die von Stress und Verantwortung geprägt ist, sollte man den Wert des Humors nicht unterschätzen. Lachen ist schließlich die beste Medizin – auch für gestresste Manager:innen. Lernen Sie also, über die skurrilen Situationen, die das Leben in Hotels, im Business und Metropolis mit sich bringt, zu lachen, und nehmen Sie sich selbst nicht zu ernst.
  5. Schauen Sie ab und zu mal in den Himmel. Das können Sie ab Sonntag auch abends noch länger, weil dann die Zeit wieder umgestellt wird. Studien haben bewiesen, dass der Blick in den Himmel den Motivations-Kick bringt.

Im Himmel über Berlin – ein grandioser Film aus Neue-Deutsche-Welle-Zeiten – sagt einer der Hauptdarsteller, ein Engel: „Bleiben Beobachter, unfähig zu fühlen – den Wind in den Haaren, zu schmecken – den heißen Kaffee auf der Zunge, zu spüren – den kalten Stein in der Hand. Kann man uns am Himmel sehn. Wir haben Angst und sind allein. Gott weiß, ich will kein Engel sein.“ Klingt wie „Menschen im Hotel“.

Himmelsgucker – O.K. Aber wer will schon ein Engel sein?


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Kommentare

Eine Antwort zu „Himmelsgucker mit Trockenfutter“

  1. Avatar von Markus Jerger
    Markus Jerger

    Kompliment… Schaue gerade in den Himmel und sehe… einen Hasen. Frohe Ostern.

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