Wach im Werdenfelser Land

Noch wach? Dann gleich die Rosebud-Frage: Sind Sie auch auf dem Schulhof fürs Leben geprägt worden? Viele sind es. Ich gehöre dazu. Und zwar einerseits einigermaßen behütet in einem Dorf und einer Kleinstadt am Niederrhein und weniger behutsam immer für ein paar Monate im Jahr in einem Kaff in Oberbayern – der Junge musste halt an die frische Luft. Da wie dort waren meine Gegner die Bauernjungs. Denen konnte man nicht mit Worten und Argumenten begegnen und sie erst recht nicht verbal überzeugen. In Oberbayern habe ich sowieso kaum verstanden, was Sepp, Alois oder Ludwig von mir Preußenjungen wollten. Wo Worte nicht wirken, tun es Taten. Ich bin heute 1,95 m groß und wiege 100 Kilo – ich war schon als Kind groß und kräftig. Die Physis geschickt einzusetzen, habe ich damals gelernt auf den Schulhöfen am unteren Niederrhein und im Werdenfelser Land.

Und so gibt es Schulhofverlierer und Gewinner. In beide Kategorien packe ich bisweilen Menschen, mit denen ich mich näher beschäftige. Vielleicht eine Marotte. Aber sollten Sie mal testen: Wer sich auf dem Schulhof durchgesetzt oder durchgewurschtelt hat, King oder Queen of the schoolyard war, kann auch später im Berufsleben reüssieren.

Zurzeit frage ich mich, was für ein Schulhof-Typ Benjamin von Stuckrad-Barre (BSB) wohl gewesen ist? Beschäftigt mich gerade sehr. Weil ich sein „Noch wach?“ lese. Bestimmt hat BSB, wie ich, auf dem Schulhof erst einmal argumentiert bevor er zur Einsicht gekommen ist, dass er mit anderen Mitteln mehr Impact hat.

Immerhin hat er mit „Noch wach“ den richtigen Impact gesetzt: Die Medienlandschaft war in den vergangenen Tagen von großer Neugier und Spannung erfüllt, als BSB sein neuestes fiktionales Werk veröffentlichte. Der Roman, der von einer fiktiven #MeToo-Geschichte handelt und von einem realen, prominenten Fall inspiriert ist, rückt die Medienbranche in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die Erwartungen an Stuckrad-Barres neuestes Werk waren hoch, und der Bestseller-Autor wusste sie gekonnt zu steigern.

Vorgestern las Stuckrad-Barre rauchend auf der Bühne des Berliner Ensembles aus seinem belletristischen Werk vor, während ich und rund 640 andere ausverkaufte Tickets die große Anteilnahme am Event bezeugten. Doch trotz der Spekulationen, ob es sich bei „Noch wach?“ um einen Schlüsselroman über das Medienhaus Axel Springer handeln könnte, wehrte sich der 48-jährige Autor in einem „Spiegel“-Interview gegen diese Vermutung.

Mit seinem Roman rege er vielmehr eine Diskussion über Machtverhältnisse und Verantwortung in der Medienwelt an, die dringend geführt werden müsse. Fair enough.

Obwohl „Noch wach?“ ein fiktionales Werk ist, zeigt es, wie eng Realität und Fiktion manchmal miteinander verwoben sind. Stuckrad-Barre nutzt seine Fähigkeiten als Schriftsteller, um ein komplexes, vielschichtiges und brisantes Thema auf eine Weise zu behandeln, das sowohl unterhaltsam als auch aufklärerisch ist. Damit beweist er einmal mehr, warum er als einer der wichtigsten Autoren seiner Zeit gilt.

Insgesamt zeigt der Erfolg von „Noch wach?“ und die damit verbundene öffentliche Diskussion, dass BSB es verstanden hat, sein literarisches Talent mit einem Gespür für aktuelle Themen und gesellschaftliche Relevanz zu verbinden. Durch das Aufgreifen der #MeToo-Thematik regt er eine Debatte an, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der Medienbranche geführt werden muss.

An einer Stelle zitiert BSB einen Manager, der nach dem persönlichen Rosebud des Gegenübers fragt. In dem legendären Film „Citizen Kane“ von Orson Welles wird das Wort „Rosebud“ als zentrales Motiv verwendet, um die Bedeutung von persönlichen Erinnerungen und Werten in unserem Leben hervorzuheben. Die Frage „What is your Rosebud?“ kann für Führungskräfte und Manager eine interessante Reflexion über ihre eigenen Werte, Motivationen und Erfahrungen bieten.

Citizen Kane erzählt die Geschichte von Charles Foster Kane, einem reichen Zeitungsmagnaten, dessen letztes Wort vor seinem Tod „Rosebud“ ist. Im Laufe des Films versucht ein Reporter, die Bedeutung hinter diesem Wort zu entschlüsseln. Am Ende wird enthüllt, dass „Rosebud“ der Name von Kanes geliebtem Schlitten aus seiner Kindheit ist, was auf seine verlorene Unschuld und die einfachen Freuden des Lebens hinweist.

Manager und Führungspersönlichkeiten können aus dieser Geschichte einige wichtige Lehren ziehen:

1. Die Bedeutung von persönlichen Werten und Erinnerungen: In einer Zeit, in der beruflicher Erfolg oft über persönliche Werte und das Privatleben gestellt wird, erinnert uns das Konzept von „Rosebud“ daran, dass persönliche Erinnerungen und Werte wichtig sind und uns in unserem Leben und unserer Arbeit Orientierung geben. Manager sollten ihre eigenen „Rosebuds“ identifizieren und ihre Werte und Erfahrungen nutzen, um authentische Führung zu demonstrieren.

2. Work-Life-Balance: Citizen Kane zeigt, dass beruflicher Erfolg nicht alles ist und dass das Streben nach materiellen Gütern und Macht nicht unbedingt zu Zufriedenheit und Glück führt. Manager sollten darauf achten, ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben zu finden und Zeit für ihre persönlichen Interessen und Leidenschaften einzuplanen.

3. Empathie und Mitgefühl: Die Suche nach „Rosebud“ erinnert uns daran, dass jeder Mensch eine eigene Geschichte und persönliche Erfahrungen hat, die ihn prägen. Manager sollten versuchen, mehr Empathie und Mitgefühl für ihre Mitarbeiter zu zeigen, indem sie sich die Zeit nehmen, ihre individuellen Bedürfnisse und Hintergründe zu verstehen.

4. Die Kraft der Authentizität: Das Geheimnis von „Rosebud“ liegt in seiner Einfachheit und Aufrichtigkeit. Manager sollten sich bemühen, authentisch und echt in ihrer Kommunikation und Führung zu sein, um Vertrauen und Respekt bei ihren Mitarbeitern aufzubauen.

Ob es die Überwindung von Herausforderungen, der Stolz auf erreichte Ziele oder die Verbundenheit mit der Natur ist – Manager sollten ihre eigenen „Rosebuds“ erkennen und in ihre Führungsphilosophie integrieren, um sowohl beruflich als auch persönlich erfolgreich zu sein.

Bei mir ist es übrigens die goldene Zugspitzwandernadel, die hat man in meiner Kindheit dafür bekommen hat, wenn man Deutschlands höchsten Berg an einem Tag auf der einen Route besteigt und auf einer anderen Route wieder absteigt. Die mittlerweile schwer angelaufene Medaille liegt immer noch in meinem Schmuckkästchen – zusammen mit meinem ersten Segelschein. Dem so genannten R-(Revier-)Schein. Der R-Schein war für das Segeln innerhalb der 3-Seemeilen-Zone an der deutschen Küste vorgesehen. Alles in allem quasi Surf and Turf.

Zurück zum Schulhof des Lebens. Die Suche nach dem persönlichen Rosebud, jenem Symbol, das unsere tiefsten Werte und Erinnerungen repräsentiert, lässt uns innehalten und auf unsere eigene Geschichte zurückblicken. Benjamin von Stuckrad-Barre hat mit seinem Roman „Noch wach?“ nicht nur ein fesselndes Werk geschaffen, sondern auch einen Impuls gesetzt, über die Bedeutung unserer individuellen Erfahrungen in einem größeren Kontext nachzudenken.

Ob Stuckrad-Barre selbst auf dem Schulhof als König oder eher als stiller Beobachter galt, bleibt weiterhin ein Rätsel. Doch gerade diese Frage verbindet uns alle, unabhängig von unserem Werdegang und Status. Es sind diese Rosebuds, die Momente und Gegenstände, die unser Leben prägen und uns zu den Menschen machen, die wir heute sind.

In meinem Fall ist es die goldene Zugspitzwandernadel und der erste Segelschein – zwei scheinbar unbedeutende Objekte, die jedoch eine tiefe Bedeutung in meinem Leben haben. Vielleicht sind es genau diese Schätze, die uns dazu inspirieren, uns selbst und anderen gegenüber authentisch und empathisch zu begegnen.

So endet diese Kolumne in der Hoffnung, dass auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, Ihr persönliches Rosebud finden mögen. Möge es Sie dazu anregen, auf Ihre eigenen Erfahrungen und Werte zurückzugreifen, um ein erfülltes Leben zu führen und andere in Ihrem Umfeld zu inspirieren. Denn am Ende sind es genau diese kostbaren Erinnerungen, die uns verbinden und uns daran erinnern, dass hinter jedem Menschen eine einzigartige Geschichte steckt.


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